Real Madrids Nachwuchskoordinator Stefan Kohfahl im Interview

Dietmar Bebber, 27.07.2020

Real Madrids Nachwuchskoordinator Stefan Kohfahl im Interview

Real Madrids Nachwuchskoordinator Stefan Kohfahl spricht im exklusiven Interview über die Bedeutung und den Erfolg der Madrider Nachwuchsarbeit.

Seit 2014 leitet Stefan Kohfahl die "Fundación Real Madrid Clinics", ein von der Stiftung der Madrilenen gesponsortes Fußballschulen-Programm, das die Trainingskonzepte der Nachwuchsabteilung der Königlichen in andere europäische Länder transportiert.

Im Interview mit „Goal“ und „SPOX“ erklärt der 51-Jährige welche Bedeutung Madrids Jugendarbeit hat und warum Toni Kroos als Jugendlicher bei den meisten womöglich durchs Raster gefallen wäre.

Außerdem verrät er, welcher heutige Star bei Real früher unterschätzt wurde, wer für ihn der beste Fußballer ist und inwieweit der gebürtige Hamburger für den Halbfinal-Einzug in der Champions-League-Saison 2018 mitverantwortlich war.

Herr Kohfahl, früher trainierten Sie Klubs aus der Ober- und Landesliga, seit 2014 sind Sie Nachwuchskoordinator bei Real Madrid und leiten die Fundación Real Madrid Clinics, ein Fußballschulen-Programm außerhalb Spaniens. Wie kam das zustande?

Stefan Kohfahl: Das Konzept der Fußballschulen entstand etwas aus Frustration heraus. Die Kinder haben nie das bekommen, was sie wollten. Fußballschulen bei Bundesligisten fokussieren sich meist auf Markenbildung und Fanbindung. Dabei wollen zum Beispiel neuere Bundesligisten mit wenigen Fans durch ein emotionales Erlebnis, wie beispielsweise die Fußballschule, neue Fans generieren. Dann gibt es bei den Camps aber nicht das Originaltrikot des Vereins, damit die Kinder es später im Merchandising kaufen. Darüber hinaus gab es beispielsweise in der Fußballschule vom HSV, die ich geleitet hatte, jeden Mittwoch gesponserte Pizza und jeden Freitag McDonald’s. Wenn man da nicht mitgegessen hat, hat man gehungert. Das sind alles Aspekte, die mir nicht gefallen haben.

Was machen Sie anders?

Kohfahl: Es ist ein Konzept fernab der Marketingabteilung. Wir müssen sehen, was der Kinderfußball kann. Er kann Werte vermitteln, Kinder von der Straße holen. Wir transportieren damit sportliche, kulturelle und gesellschaftliche Werte. Das alles ist greifbar, weil die Kinder uns zuhören. Bei uns sind alle Kinder sinnvoll beschäftigt und spielen ihr Lieblingsspiel. Ein Schwerpunkt dieses Jahr ist ein Ernährungskonzept zur Stärkung des Immunsystems, was wir unseren Kindern und den Eltern bereitstellen.

Wie ist so ein Camp aufgebaut?

Kohfahl: Es ist ein fünftägiges, kostenpflichtiges Camp für Mädchen und Jungen zwischen 7 und 16 Jahren, unabhängig vom Leistungsniveau, das während der Schulferien bei unseren Partnervereinen stattfindet. Das Camp bietet den Teilnehmern die Möglichkeit, unter qualifizierten Trainern und mit modernsten Trainingsmethoden und Leistungsmessungen die Trainingskonzepte des Real-Nachwuchses zu erleben. Die Kinder erhalten zehn Trainingseinheiten, dürfen nach dem Mittagessen aber auch frei spielen - Wir nennen es den größten Bolzplatz der Welt. So sind sie wieder offen für Frontalunterricht an den Stationen. Die Kinder haben ihren eigenen Zugang zum Fußball. Wir geben ihnen ihre Erwartungen, wir nehmen sie ernst. Bei uns bekommen die Kinder sogenannte Score Cards. Die besten Spieler aus jedem Camp nehmen an der nationalen Finalrunde teil. Die Gewinner der Finalrunde dürfen nach Madrid reisen und im Estadio Santiago Bernabeu trainieren.

Was sind Score Cards?

Kohfahl:  Auf den Score Cards werden Skills wie Handlungsschnelligkeit, Technik, Dribbling oder Geschwindigkeit bewertet, die in verschiedenen Übungen, wie zum Beispiel Dribbling-Parcours oder Koordinationsübungen, eine Rolle spielen. Neben den sportlichen Fähigkeiten sind auch soziale Skills von Bedeutung. Wer da schlecht abschneidet, weil er eine Diva ist, keinen Respekt hat oder keine Führungsrolle auf dem Spielfeld übernimmt, erhält keine Punkte. Das Sportliche und das Soziale verschiebt sich meistens. Wir arbeiten gegen die alte Regel an: Je erfolgreicher man ist, desto mehr lässt die soziale Kompetenz nach. Wir verbinden beides.

Wofür steht der Name der Fußballschule?

Kohfahl: Der Name ist auf den ersten Blick natürlich etwas irreführend. “Fundación“ bedeutet im Spanischen Stiftung und “Clinics“ ist im Englischen eine hochwertige Bezeichnung für Sprechstunde, die wir in dem Fall auch erfüllen. Wir hatten bei der Namensgebung damals keine andere Wahl, es wurde uns von Real so vorgegeben.

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Kohfahl: Ich bin für die generelle Organisation, Planung und Durchführung der Fußballschulen in Westeuropa zuständig. Dazu zählen auch in Absprache mit den Trainern die Trainingsmethoden. Insgesamt betreue ich 600 Trainer und leite Events, wie beispielsweise die Coaching Convention, in der neue Trainingskonzepte vorgestellt werden und die bei Real Madrid stattfindet. Dort werden auch die Trainer der Camps geschult.

Wann entwickelte sich bei Ihnen das Verlangen, den Nachwuchs mehr zu fördern?

Kohfahl: Fußball hat auch mir persönlich sehr geholfen. Ich wurde selbst von meinen Jugendtrainern geprägt. Ich durfte früher die Aufstellung meiner eigenen Mannschaft machen und wurde mit 14 bereits Jugendtrainer. Als ich gemerkt habe, dass es für den Sprung zum Profi nicht reicht, wurde ich in der Bezirksliga Spielertrainer mit 21, habe aber immer parallel zu den Herrenmannschaften ein Jugendteam trainiert. Ich war immer ein Querdenker, aber die Kinder sind mir immer gefolgt. Dabei hatte ich viel Erfolg, wurde Norddeutscher A-Jugend-Meister mit dem Provinzverein Stellingen 88. Die späteren Bundesliga-Profis Ivan Klasnic und Patrick Owomoyela sind bei mir groß geworden.

Wie wird Ihre Arbeit aktuell vom Coronavirus beeinflusst?

Kohfahl: Wir mussten die Camps vorerst natürlich verschieben, was unsere Teilnehmer aber zu 99% mit großer Fassung genommen haben. Aktuell kümmern wir uns um unsere Mitarbeiter und diverse Anfragen. Alternativ zu den Camps organisieren wir momentan ein FIFA-Turnier für über 10.000 Kinder mit über 140 Partnervereinen aus ganz Europa. Zudem arbeiten wir an einem Konzept für ein Corona-Trainingslager, das bei unseren Partnervereinen stattfinden soll.

Erzählen Sie.

Kohfahl: Wir wollen während der Corona-Zeit auch positive Signale senden. Derzeit arbeiten wir gemeinsam mit dem Life Science Institut und der Universität Luxemburg, genauer gesagt mit fünf berühmten Ärzten, davon drei Professoren und Immunologen, zusammen. Mit ihnen haben wir bereits unser Ernährungskonzept entwickelt. Wir bauen ein Trainingsprogramm, mit dem wir proaktiv auf die Behörden zugehen werden. Dabei soll es weniger oder gar keine Zweikämpfe geben, dafür mehr Torschusstraining sowie technisch-taktische Inhalte.

Welche Spielformen kommen da in Frage?

Kohfahl: Überzahlspiel mit inaktivem Verteidigen oder Rondo, wobei auf Zeit gewechselt wird und nicht wie sonst nach Ballverlust. Aktuell haben wir unsere Termine verlegt und warten auf den Startschuss. Wenn dieser nur mit Einschränkungen möglich ist, werden wir dies natürlich befolgen.

Wie sehen weitere Sicherheitsvorkehrungen aus?

Kohfahl: Wir werden eng mit den Ärzten zusammenarbeiten und niemanden gefährden. Zudem haben wir für alle Kinder Armbänder besorgt, mit denen sie sich bei den jeweiligen Übungen einloggen können. Bei uns läuft alles digital und man musste sich ursprünglich zu Beginn einer Übung über ein Touchpad einloggen. Wir haben Scanner eingeführt, die die Kinder beim Eingang scannen, damit sie niemandem die Hand schütteln müssen.

Planen Sie, die Kinder zu Beginn auf das Virus zu testen?

Kohfahl: Schnelltests sind nicht möglich. Wir appellieren daher an die Vernunft der Eltern. Sollte ein angemeldetes Kind erkrankt sein, erhält es von uns einen Gutschein, um zu einem anderen Zeitpunkt an unserem Camp teilzunehmen. Ein gewisses Restrisiko bei nicht bekannten Erkrankungen können wir nicht verhindern.

Wie schwer war es bei den Top-Klub Europas für Ihre Idee Gehör zu finden?

Kohfahl: Nachdem ich beim HSV, meinem eigenen Klub, kein Gehör gefunden habe, war es bei den europäischen Spitzenklubs vergleichsweise einfach. Von acht der Top-10-Klubs des UEFA-Rankings 2014 habe ich eine Zusage erhalten.

Welches Gespräch ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Kohfahl: Meine Frau ist Grafikerin und hat das Rohkonzept der Präsentation für mich entworfen. Als ich beim FC Valencia mein Konzept vorgestellt habe, waren alle völlig begeistert. Auf der letzten Seite der Präsentation stand dann allerdings: ‘Ich freue mich auf Atletico Madrid‘ (lacht). Ich hatte die falsche Präsentation dabei beziehungsweise meine Frau hatte sie nicht geändert.

Waren Sie mit Ihrem Konzept auch bei deutschen Klubs?

Kohfahl: Der FC Bayern München hatte über einen Dritten ebenfalls angefragt, obwohl ich bei ihnen nicht vorstellig geworden bin. Das war allerdings nicht meinem Konzept entsprechend. Ich kann nicht in Hamburg eine Bayern-Fußballschule aufmachen oder umgekehrt. Es musste etwas Übergeordnetes sein.

Weshalb haben Sie sich für Real Madrid entschieden?

Kohfahl: Die Verantwortlichen haben mich unfassbar gut behandelt, deshalb musste ich nicht lange überlegen. Real kam direkt mit der höchsten Besetzung, sprich mit Generaldirektor Jose Angel Sanchez und dem damaligen Jugendtrainer Santiago Solari, der mich am gleichen Tag durch die Jugendarbeit und das Gelände geführt hat. Und das trotz einiger Probleme zu Beginn.

Erzählen Sie.

Kohfahl: In Spanien ist es üblich, dass man zu Beginn Visitenkarten austauscht. Allerdings hatte ich keine dabei und auch die Übersetzung von meinem Dolmetscher verlief nicht optimal. Sanchez fragte mich, wieso ich keine Visitenkarte dabeihätte. Als ich entgegnete, dass ich keine Firma hätte, sondern eine Idee, sagte er zu seinem Kollegen auf Spanisch, dass die Idee ziemlich gut sein müsse, wenn ich so erscheine. Dabei wusste er nicht, dass ich etwas Spanisch spreche (lacht). Am Ende hat er mich aber in den Arm genommen und gesagt: ‘Du gehst hier nicht mehr weg.‘

Wie haben Sie die Dimensionen dieses Vereins wahrgenommen?

Kohfahl: Von Solari, einem der Galaktischen, rumgeführt zu werden, war ein abgefahrenes Gefühl. Mir wurde direkt das riesige Trainingsgelände in Valdebebas gezeigt. Sie wollten mich damit erschlagen, diese Karte haben sie natürlich direkt gespielt (lacht).

Weshalb ist der deutsche Markt für Real so interessant?

Kohfahl: Weil ich ihn so interessant gemacht habe. (lacht) Nein, das Konzept, das ich vorgestellt habe, ging vom deutschen Markt aus, den ich gut kannte. Mittlerweile gibt es die Clinics in fast 100 Ländern. Es gibt bezahlpflichtige Schulen, aber auch soziale Projekte in Afrika oder im Süden Europas, die von diesen Geldern finanziert werden. Die Stiftung von Real Madrid macht diesbezüglich herausragende Arbeit und wurde 2014 und 2019 jeweils zum Besten sportlich-sozialen Projekt des Europäischen Klubverbandes ECA gewählt. 2014 übrigens unter der Schirmherrschaft von Karl-Heinz Rummenigge.

Was erhofft sich der Klub von dieser Zusammenarbeit in Deutschland?

Kohfahl: Der Verein erzielt durch unsere Fußballschule positive Kollateraleffekte. Die Reichweite und die Beliebtheit von Real Madrid haben sich durch unsere Camps nochmals erhöht. Auch Toni Kroos, der unser Botschafter ist, merkt, dass wir ihn noch mal auf ein anderes Level gehoben haben, wenn er auf über 30.000 Plakaten auf europäischen Sportplätzen zu sehen ist. Dadurch geben wir dem Verein auch etwas zurück.

Wie schaffen Sie es, dass die Kinder trotz des Konkurrenzkampfes den Spaß nicht verlieren?

Kohfahl: Wir spielen zwar mit Sieg und Niederlage, aber es ist eine Sache des Storytellings – wir entwerten die Niederlage. Verlieren ist nicht schlimm, Hauptsache man hat alles gegeben. Bis zur 93. Minute, die klassische “Remontada“, die Aufholjagd. Dieses "alles geben“ fordern wir von allen Teilnehmern immer ein. Das nehmen sie auch mit nach Hause. Wir fordern zudem die Social Skills, der Sieg ist nicht ausschlaggebend für das Weiterkommen.

Wie viele Teilnehmer Ihrer Fußballschule haben eine realistische Chance, es einmal in die Jugendakademie von Real Madrid zu schaffen?

Kohfahl: Wir haben derzeit fünf Juniorennationalspieler, die bei uns in den letzten Jahren teilgenommen haben. Sie spielen allerdings nicht bei Real. Wir haben zudem ein Team von den allerbesten, das wir nochmal separat auf unsere Kosten nach Madrid einladen. Im vergangenen Jahr haben wir mit einer Auswahl von unseren besten Finalspielern, die aus zwei Jahrgängen bestand, zwei Spiele gegen die gleichaltrige Mannschaft von Getafe gemacht und sie auseinandergenommen. Dabei ist Getafe für starke Jugendarbeit bekannt.

Welche Eigenschaften bringt das ideale Real-Talent mit?

Kohfahl: Es geht um schnelle und richtige Entscheidungen. Ein Toni Kroos wäre vielleicht als Jugendlicher bei vielen durchs Raster gefallen, da er nicht diese maximale Geschwindigkeit besitzt. Aber er ist unheimlich schnell im Kopf. Dazu ist er beidfüßig, was ebenfalls zu dieser Schnelligkeit beträgt. Jeder, der bei Real Madrid in der Jugend ist, kann Fußball spielen und ist schnell. Kraft und Taktik kann man später dazulernen, Schnelligkeit muss man im Kopf haben.

An Ihren Camps können sowohl Jungs als auch Mädchen teilnehmen. Wie lenkt man den Fokus auch auf die weiblichen Teilnehmer, obwohl man hauptsächlich männliche Talente scoutet?

Kohfahl: Wenn man einen Schwachpunkt bei uns findet, dann den, dass zu wenige Mädchen teilnehmen. Wir achten dennoch darauf und es sind meistens auch zwei Mädchen beim Finale in Madrid dabei. Seit diesem Jahr hat Real aber auch eine Frauenmannschaft [CD Tacon, fusionierte mit Real Madrid, d. Red.], da stehen auch Gespräche an.

Haben Sie bei Scoutings beziehungsweise Verpflichtungen von Nachwuchstalenten Mitspracherecht?

Kohfahl: Nein, dort gibt es eine autonome Abteilung. Ich bin trotzdem regelmäßig mit den Scouts in Kontakt und gebe ein paar Empfehlungen durch. Wenn wir gute Spieler im Camp haben, schlage ich sie natürlich vor. Die Entscheidung liegt dann aber bei ihnen.

Gibt es dennoch Berührungspunkte mit den Profis?

Kohfahl: Ich bin regelmäßig in Madrid und Valdebebas. Wir führen zudem einmal im Jahr Dreharbeiten durch. Wir machen Dribbel-Videos für Kids, die sie dann zu Hause nachmachen können. Das haben wir beispielsweise auch mit Achraf Hakimi mal gemacht. Zuletzt haben wir mit Karim Benzema, Kroos, Nacho Fernandez und Gareth Bale gedreht.

Kohfahl: Hakimi? "Habe ihn schon vor drei Jahren angepriesen"

Sie haben es erwähnt: Stars wie Kroos, Bale oder Benzema werben in Videos für Ihre Camps. Wie haben Sie die Stars kennengelernt?

Kohfahl:  Nett! Der gute Ton gehört zu Real Madrid. Sie leben, was sie sagen. Diese Werte vom Miteinander und respektvollen Umgang werden von der obersten Etage nach unten vorgelebt.

Hat Sie menschlich jemand besonders begeistert?

Kohfahl: Das gilt eigentlich für alle. Am meisten habe ich mit Toni Kroos zu tun, der wirklich viel für unsere Camps macht. Karim Benzema ist nett und Marcelo ist der Sunny Boy, wie man ihn im TV sieht.

Haben Sie ein besonderes Erlebnis, das Sie mit Real Madrid verbinden?

Kohfahl: Bei Real Madrid geht die Legende rum, dass ich den entscheidenden Elfmeter von Cristiano Ronaldo gegen Juventus im Viertelfinal-Rückspiel der Champions-League-Saison 2017/18 herausgeholt habe. (lacht)

Erzählen Sie.

Kohfahl: Ich saß im VIP-Bereich und es stand 0:3. Dann habe ich als einziger angefangen zu singen. Plötzlich ist das ganze Stadion aufgestanden. Meine Frau hatte Tränen in den Augen. Die ganze Stimmung hat sich auf die Mannschaft übertragen. Das habe ich dann nochmal gemacht und in dem Moment kam das Foul und das ganze Stadion, das vorher fast eingeschlafen ist, hat den Elfmeter gefordert. So wurde anschließend gesagt, ich hätte den Elfmeter mit herausgeholt. Ich sage: Legende vor Wahrheit.

Statistisch gesehen macht kein Verein aus den Top-5-Ligen Europas mehr Spieler zu Profis als Real. Woran liegt das?

Kohfahl: Ausschlaggebend ist die starke Jugendarbeit. Viele, wie Hakimi oder Daniel Carvajal, gehen von der F-Jugend bis in die A-Jugend hoch.

Was macht die aktuelle Jugendarbeit aus?

Kohfahl: Es gibt einen Plan, wie ein Jugendlicher die Übergänge von einer Jugend in die nächste schafft. Es wird nicht zu viel trainiert. Wenn man zu viel trainieren würde, würden die Kinder den Fußball nicht mehr lieben. Diese Methodik wird von außen vorgegeben. Es ist zum Beispiel auch nicht erlaubt, dass der Innenverteidiger für hohe Bälle nach vorne geht, auch nicht, wenn eine Mannschaft zurückliegt. Es ist alles bis zum Schluss systemgebunden. Deshalb trainieren wir in den Camps auch viel Ballbesitz.

Welcher Nachwuchsspieler aus den eigenen Reihen der Madrilenen hat das Zeug zum Sprung an die Weltspitze?

Kohfahl: Für mich Hakimi, den ich schon vor drei Jahren allen angepriesen habe. Auch Luca Zidane [aktuell verliehen an Racing Santander, d. Red.] finde ich überragend. Ich habe noch nie einen besseren Fußballer gesehen. Es ist nur schade, dass er nicht ein paar Zentimeter größer ist. Aus dem aktuellen Kader ist Federico Valverde mein absoluter Liebling. Er ist aus der ersten Elf nicht mehr wegzudenken. Von Martin Ödegaard wird auch noch viel gesprochen werden. Er hatte anfänglich etwas Schwierigkeiten, spielte aber diese Spielzeit bisher überragen bei San Sebastian.

Kohfahl: "Wenn man nur auf die U23-Spieler schaut, hat Real die stärkste Mannschaft der Welt"

Welches Talent hat in Ihren Augen in den letzten Jahren überraschend nicht den Sprung geschafft?

Kohfahl: Marcos Llorente von Atletico Madrid. Ich fand ihn relativ stark, er wurde meiner Meinung nach aber unterschätzt und war zum falschen Zeitpunkt da. Meiner Ansicht nach kommt ein Gareth Bale aktuell ebenfalls zu schlecht in der Öffentlichkeit weg. Seine Quote bei Real ist unglaublich. Das Problem ist seine Verletzungsanfälligkeit.

Und seine Provokationen neben dem Platz.

Kohfall: Er ist eigentlich ein schüchterner und bescheidender Mensch, sehr introvertiert. Er steht natürlich auch unter Druck. Es würde mich freuen, wenn mehr Respekt von den Zuschauern bekommt und nochmal auf die Beine kommt.

Wird Real mit Blick auf die Pandemie in der Lage sein, Transfers der Größenordnung Kylian Mbappe zu tätigen?

Kohfahl:  Real Madrid denkt immer groß, das gehört zur Vereinsphilosophie. Ich merke nicht, dass es dem Verein in der aktuellen Lage finanziell schlecht geht. Es geht ihnen gut, das sieht man auch am Trainingsgelände, da ist jede Pflanze und jede versteckte Ecke im Top-Zustand.

Wird Ihre Arbeit beziehungsweise die der Talentförderung gerade in diesen Zeiten noch wichtiger?

Kohfahl: Die war immer wichtig. Real hat immer eine hohe Anzahl an eigenen Nachwuchsspielern im Kader. Das ist schon immer ein Hauptaugenmerk gewesen. Im Durchschnitt sind es die letzten Jahre jeweils acht Spieler gewesen. Diese Spielzeit sind mit Nacho, Carvajal und Casemiro auch wieder einige Hochkaräter dabei. Dazu kamen Spieler wie Sergio Ramos, Benzema und Raphael Varane mit 20 zu Real Madrid und sind hier zu Weltklassespielern gereift. Diesen Weg geht man gerade auch mit Vinicius Junior, Rodrygo, Valverde und Reinier.

Wie realistisch ist es, das Niveau ausschließlich durch Neuverpflichtungen aus dem eigenen Nachwuchs aufrechtzuerhalten?

Kohfahl: Ich glaube, dass Schlüsselspieler wie Kroos, Ramos oder Benzema immer noch stark und wichtig sind. Ich glaube aber auch, dass einige Nachwuchsspieler wie Vinicius Junior in der dritten Saison noch einen Schritt nach vorne machen können und zehn oder elf Tore schießen. Rodrygo hat schon gezeigt, was er kann. Auch Luka Jovic hat noch Luft nach oben. Wenn man nur auf die U23-Spieler schaut, hat Real für mich die stärkste Mannschaft der Welt.

Könnten Sie sich vorstellen, ein ähnliches Konzept mit deutschen Vereinen im Ausland zu erstellen?

Kohfahl: Ich schreibe gerade ein Konzept für einen englischen Zweitligisten, das ist aber vielmehr ein Jugendförderkonzept. Das wird, glaube ich, einzigartig. In Deutschland würde ich grundsätzlich keinen Verein ausschließen (lacht). Ich setze mich gerne mit schlauen Leuten zusammen und rede über Fußball.


Quelle:https://www.goal.com